Wenn am Ende der Ankerbucht ein Gletscher ist

Wieder einmal legen wir in Nebel und Nieselregen ab, tapsen frühmorgens aus Siglufjordur hinaus, nehmen Kurs nach Westen. 90 Seemeilen liegen vor uns, um an Islands Nordwestecke,

den Hornstrandir Nationalpark zu kommen. Vor langer Zeit habe ich ein Video eines Seglers bestaunt, der diesen einsamen Winkel Islands im Winter besegelt. Nie im Leben hätte ich jemals angenommen, dass wir einmal auf eigenem Kiel dorthin segeln werden - allerdings im Sommer! Im Winter hier zu segeln, kann ich mir beim besten Willen immer noch nicht vorstellen. Bei so einem Nebel haben wir auf See nur cirka 9°C im Schiff und alles wird sehr schnell klamm und feucht. Da hilft nur der Sprung unter Deck und unter die Tuchent!  

 

Kaum sind wir ein paar Meilen draußen, haben wir achterlichen Wind, der Nebel lüftet sich und wir segeln im ersten Reff gemütlich dahin.

 

Unsere auserkorene Ankerbucht Hornvik laufen wir allerdings am späten Abend wiederum im dichtesten Nebel - im Blindflug - an. Der Nebel hält sich hartnäckig an der Küste.... 

 

Das Hafenhandbuch spricht von "striking views", die uns leider komplett verborgen bleiben. Auch am nächsten Morgen ist rund um uns dichter Nebel und so tasten wir uns wieder hinaus aufs offene Meer. Ein paar Stunden später runden wir das Kap Stromness und segeln in den Nationalpark. Unser Ziel ist der Heysteryfjord. 

Bevor wir dort einlaufen, stoppen wir an der 10 Meterlinie und holen unser Abendessen aus dem Nordatlantik - zwei Kabeljaus in der richtigen Größe gehen innerhalb kürzester Zeit an die Haken, die uns Halli in Siglufjordur geschenkt hat. Es stimmt also, was uns die Isländer erzählt haben: "Hang the line overboard and after 10 minutes you are done!"

 

Wir ankern vor dem so genannten Doctor's House im Heysteryfjordur, ganz in der Nähe einer verfallenen Walstation. Das Doctor`s House ist heute eine im Sommer betriebene Berghütte mit urgemütlichem Kaffeehaus. Früher war es das Haus des Arztes im Ort Hestery, wo zu Walfangzeiten ständig bis zu 170 Menschen gelebt haben. Heute werden im Sommer Wanderer mit dem Schiff hierher gebracht, denn von hier aus startet der Hornstrandir Circuit - eine Mehrtageswanderung die Küste des Hornstrandir entlang.  

Die Walkocherei wurde bis 1955 von Norwegern betrieben - dann gab es keine Wale mehr zu bejagen und die Station wurde aufgegeben... So schildert es uns die freundliche Rangerin im Mini-Infocenter neben dem Doctor's House. Sie gibt uns Tipps welche der Fjorde des Nationalparkes unbedingt zu besegeln sind und schwärmt von den vielen Walen, die derzeit in den Fjorden zu sehen sind! Uns haben sie sich jedoch noch nicht zeigen wollen - sosehr wir auch stundenlang aufs Wasser starren. Sie verspricht, für uns ein gutes Wort bei den Humpbacks einzulegen...

 

Es sind gemächliche stille Tage, die wir in diesen wunderschönen Fjorden verbringen. Wir schlendern gemächlich von Ankerplatz zu Ankerplatz und haben diese ganz für uns allein. Jeder dieser Fjorde ist anders und jeder neue Platz lässt uns staunen ob seiner Schönheit, Abgeschiedenheit und unberührten Wildniss.

Im Leirufjördur liegen wir direkt vor dem Gletscher Drangajokull vor Anker. Für uns ein spektakulärer Anblick. Das Wasser in diesem Fjord ist milchig grün, der Fluss trägt Sedimente vom Gletscher in die von der Endmuräne begrenzte Bucht. Der Anker fällt auf 5 Meter Wassertiefe. Wir wandern die steilen unwegsamen Hügel hinauf, um dem Gletscher näher zu kommen. Die Bachdurchquerungen sind eiskalt. Ein Tag wie im Bilderbuch mit Picknick, Sonnenschein und allem drum und dran.

Einen Fjord weiter ankern wir hinter einer Landzunge, die nur bei Niedrigwasser zum Vorschein kommt und sind umgeben von steilen Berghängen. Man hat das Gefühl sehr, sehr weit von jeglicher Zivilisation zu sein. Hier gibt es nur Natur, Seevögel, Seelöwen und eine dramatische Kulisse, die sich mit dem wandernden Sonnenlicht von Stunde zu Stunde komplett verändert. Es sind Tage mit viel Zeit die Seele baumeln zu lassen, zu lesen, miteinander zu plaudern, Wanderungen und Spaziergänge zu unternehmen - Balsamtage für die Seele. Noch dazu ist der Sommer hier eingekehrt. Ein sonniger Tag folgt dem anderen und manche Abende sind so lau, dass wir den Sundowner sogar an Deck nehmen können.

 

Als alle frischen Köstlichkeiten aus unserem Eiskasten aufgegessen sind, kann ich endlich aus dem noch vorhandenen Bordproviant isländische Kulinarik zaubern und serviere "Hallis Butterbrote mit Ei und Kaviarcreme" als Mittagessen - mit mäßigem Erfolg. Muss nicht wiederholt werden, meint meine Familie..... Schade, mir schmeckt das nämlich!

Viel zu schnell vergeht die Zeit, die Anna bei uns ist und es wird Zeit nach Isafjordur zu segeln, wo sie uns wieder verlassen wird. Auf dem Weg dorthin haben wir endlich "Waltag"! Die nette Rangerin hat Wort gehalten: Ein Blas nach dem anderen steigt aus dem Wasser auf und mehrmals können wir den eleganten Schwung von mächtigen Schwanzflossen bewundern, bevor die Buckelwale wieder abtauchen. Welch Glücksgefühle Walsichtungen doch auslösen! Alle drei Schnabls grinsen übers ganze Gesicht und wir schildern uns gegenseitig aufgeregt, was wir gerade gesehen haben! Und was für ein Abschiedsgeschenk für Anna kurz vorm Einlaufen in ihren Absprunghafen!

Trotz eifrigem Fotografierens, gelingt nicht ein vernünftiges Foto - wie so oft bei Begegnungen mit Meerestieren! 😉

Mittlerweile sind uns alle Attribute ausgegangen, die die Eindrücke von Island beschreiben könnten. Was mir immer wieder in den Sinn kommt, ist das Wort "dramatisch" - für alles hier: die Landschaft, die sich alle Augenblicke verändert, die Küste mit ihren steilen sich ins Meer stürzenden Hängen, die Farben, wenn die Sonne scheint, die Wasserfälle, die wir schon fast nicht mehr wahrnehmen, weil sie überall sind, das Segeln und Ansteuern von Häfen und Buchten im Nebel, die Windsprünge von Null auf Böen, die nach Reff 3 schreien und letztendlich, die Preise in diesem Land. 

 

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass ich nach dieser Reise rund um und kreuz und quer durch Island, eine Erholungsphase ohne dauerndes Einprasseln von überwältigenden Eindrücken brauchen werde. Es beruhigt mich fast ein wenig, dass wir in ein paar Wochen einige Tage auf See verbringen werden, um entweder nach Schottland oder Irland zu kommen und mein Hirn dann hoffentlich Zeit haben wird all das, was wir hier erleben durften, zu verarbeiten.

 

In Isafjordur angekommen, schwimmen wir erst einmal eine Runde im örtlichen Swimmingpool und genießen die warmen Duschen. In der lokalen Brauerei gönnen wir uns Bier und Fish&Chips und feiern den Abschluss des Familientörns. Hinter uns liegen drei wunderschöne Wochen mit unserer Tochter. Wir haben neue Kapitel in unsere Familienerinnerungen geschrieben und sind unendlich dankbar solche Dinge gemeinsam erleben zu können. 

Wieder nur zu zweit an Bord, fühlt sich das Boot ein bisserl leer an, aber wir müssen weiter. Schnell sind eine kleine Reparatur an der Genua (wieder einmal...!) und der Einkauf für unsere Weiterfahrt die Westküste Islands "hinunter", erledigt. Manches bleibt auch unerledigt, wie z.B. ein Besuch beim Friseur. Robert gibt haarschnittmäßig weiter den verwilderten Seebären - der Friseur in Isafjordur hatte keinen Termin für ihn ("Saturday we are closed"). So laufen wir bald nach Annas Abfahrt wieder aus. Ab jetzt haben wir Kurs Süd! 

Die Nächte beginnen wieder "länger" zu werden. Um Mitternacht herum stellt sich so etwas wie Dunkelheit ein. Es kommt das Gefühl hoch, dass es auch für uns langsam Zeit wird,  an unseren Abschied aus Island zu denken.