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Halifax - Kanada fängt uns ein

Auf der Passage von Bermuda nach Kanada, haben wir es irgendwie geschafft, unser Großsegel zu beleidigen. Eine Segellattentasche ist komplett aufgescheuert. Es ist nicht klar, wie das passiert ist, denn wir haben am Rigg nichts verändert? Noch dazu sitzt der Schaden an einer blöden Stelle, an die wir mit der Nähmaschine nicht heran kommen. 

Also ab damit - zum Segelmacher! Zum Glück sind wir ja einem Ort, wo so etwas kein Problem ist. Kosten wird es halt.

Nach den vielen  Monaten auf den Karibischen Inseln mit wenig Warenangebot, erleiden wir einen kleinen Kulturschock und verfallen demzufolge in einen Besorgungs-, Erledigungs- und Einkaufsrausch! Was wir nicht noch alles brauchen, bevor es weiter geht an die einsamen Küsten von Neufundland! Die ersten Tage in Kanada verbringen wir in Baumärkten, Einkaufszentren und Supermärkten. Uber verdient wieder einmal ein kleines Vermögen an uns, denn wir fahren kreuz und quer durch die Stadt.

Ganz dringend müssen wir unsere Gasflaschen füllen. Wo die Flaschen befüllt werden, finden wir schnell - den notwendigen Adapter für die europäischen Anschlüsse unserer Flaschen, gibt's  allerdings wieder nur am anderen Ende der Stadt. Praktischerweise ist da gleich ein Mega-Baumarkt. Hier bekommen wir Isoliermaterial und einen heimeligen Teppichbelag, um den Boden der Stravanza zu isolieren, neue Diesel- und Benzinkanister und einen Karbonwasserfilter. Dann ab in den Elektronikmarkt nebenan! Wir brauchen neue Powerbanks - die Luftfeuchtigkeit hat alle, die wir hatten, gekillt! Neue Speicherkarten für die Kamera brauchen wir auch.  Beim Ship Chandler erstehen wir einen Adapter für kanadische Stromanschlüsse, zwei Rollen Segeltape und erliegen dem Supersonderangebot für einen neuen Cockpitsitzpolster. 

Im Supermarkt füllen wir einen Einkaufswagen mit Proviant für die nächsten drei Monate und irgendwo dazwischen finden sich ein kuscheliger Flanellpyjama und warme Patscherln für mich, ein Wanderführer für Neufundland und es hupft auch so manches Souvenir ins Wagerl.  Außerdem müssen wir beide dringend zum Friseur.  Uff.... Das alles muss per Dinghi an Bord gebracht, verbaut, verstaut und eingeschlichtet werden. Für ein paar Tage sind wir ganz gut beschäftigt und schwitzen, denn es herrschen Hochsommertemperaturen von 35°C.

Zum Einkaufsrausch gesellt sich eine Art Genusssucht nach lange vermissten Schmankerln: richtiger Espresso wo immer es geht, frische Erdbeeren, sogar einen Restaurantbesuch mit Hummer gönnen wir uns! An Bord zaubern wir uns mit Lachs und Blattspinat, Jakobsmuscheln auf Tagliatelle auf den Tisch und genießen dazu jeweils ein Glaserl Sauvignon Blanc vom kanadischen Winzer! 

Alles ist teurer als angeschrieben, denn beim Einkauf kommt erst an der Kassa die Steuer von 15% dazu und im Lokal erwartet die immer sehr freundliche Bedienung, ein Trinkgeld von mindestens 18% - nach Steuer!  Gewöhnungsbedürftig. Es wird Zeit, dass wir hier wieder wegkommen - unserer Linie und unserem Geldbeutel zuliebe!

Vlad aus Odessa
Vlad aus Odessa

Für ein paar Tage ankern wir vor der Armdale Marina in einem Vorort von Halifax. Diesel tanken geht hier auch sehr bequem. Beim Anlegen am Fuel Dock rufen sich die Marineros gegenseitig zu "wer, was, wo" anbindet - auf Russisch! Wie schön! Ich kann wieder einmal Russisch plaudern, was schon lange nicht mehr der Fall war. Jedenfalls sind die beiden aus der Ukraine, haben hier Asyl bekommen und sind die Hilfsbereitschaft in Person. "Wir sind schon echte Kanadier", mein Vlad, der auf Drängen seiner Eltern vor dem Krieg aus Odessa geflüchtet ist. Seine Eltern sind dort geblieben. Wir schweigen beide für ein paar Augenblicke. Dann drücke ich Vlads Schulter, er sagt leise "Spasibo". Was kann ich auch mehr sagen zu diesem jungen Mann, dessen junges Leben so direkt von diesem schrecklichen Krieg betroffen ist?

Dann kommt Judy den Steg entlang und fragt mich: "Are you the Austrian boat with the main sail problem?" "Wie bitte? Ja, das sind wir!" Judy wohnt hier ums Eck, ist Seglerin und selber gerade zurück aus der Karibik. 

Von unserem Problem, das wir allerdings schon gelöst haben, hat sie über die "Sailing&Cruising Nova Scotia"-Gruppe auf Facebook erfahren. Judy gibt uns den Zugangscode für ihr Haus. Sie selber ist ab morgen leider nicht mehr da, sondern bei ihrer Tochter in Schottland aber wir können bei ihr duschen und Wäsche waschen, wann immer wir wollen. "Honey, just close the door when you are done" - zieht einfach die Tür wieder zu, wenn ihr fertig seid. Gerne, aber auch beschämt nehme ich ihr unglaublich großzügiges Angebot an. Würde ich unser Zuhause auch in dieser Großzügigkeit für fremde Segler öffnen? Ich fürchte fast, nein. Stoff zum Nachdenken.

Der Armdale Yacht Club liegt wunderschön auf einer Halbinsel und ist eine Institution. Er residiert in historischen Gebäuden, deren Anlagen bis ins Jahr 1732 zurückreichen!

Armdale Yacht Club vom Ankerplatz aus
Armdale Yacht Club vom Ankerplatz aus

 Die Bauten, die dem Yacht Club heute als Lagerräume dienen, nutzten die Briten ab 1803 als Gefängnis für abtrünnige Soldaten und Seeleute. Während der Napoleonischen Kriege ab 1808, waren hier französische Gefangene inhaftiert. Da soll noch einmal wer sagen, es gibt keine alte Geschichte auf dem Nordamerikanischen Kontinent! 

Ich finde es faszinierend, dass diese Gebäude noch da sind und heute dem friedlichen Segelsport dienen.  Was würden die armen Gefangenen, die einst hier Schlimmes durchgemacht haben, dazu sagen? 

Kanada hat uns nach wenigen Tagen schon um den kleinen Finger gewickelt. Was für ein Land! Was für eine Geschichte - First Nations, Acadians, Vikinger, verschwundener Kabeljau und Walfang...! Es gibt hier noch so viel zu entdecken! Zum Glück haben wir ja noch ein bisserl Zeit uns so richtig umzuschauen!

 

Stay tuned!