Von Halifax aus, nehmen wir die Direttissima nach Neufundland. In drei Tagen und zwei Nächsten geht es quer über die Cabot Strait an Neufundlands Südküste. Die kleine Inselgruppe Ramea ist unser erstes Ziel.
Ein winziger Flecken Erde, eine Handvoll bunter Häuser rund um einen geschützten Hafen.
Am Schwimmsteg sind leider alle Plätze besetzt - es sind noch drei andere Segler hier. Vom Steg ruft uns ein Mann zu, wir sollen an dem blauen Fischerboot längsseits gehen! Er übernimmt unsere Leinen und stellt sich als Hafenmeister Brian vor. Der Liegeplatz kostet CAD 10,- pro Nacht, wir können bleiben so lange wir wollen, meint er. Wo wir ihn finden, um die Gebühren zu bezahlen, fragen wir. "You will find me around", ist die Antwort und ist schon wieder weg.
Es herrscht strahlender Sonnenschein - ein kanadischer Sommertag aus dem Bilderbuch. Dieses Wetterglück muss genutzt werden! Rund um die Insel führt ein acht Kilometer langer Wanderweg - teils als Boardwalk angelegt, den wir natürlich "bezwingen" wollen. Der Weg bietet wunderschöne Ausblicke auf den Ozean und hinüber zum "the Rock" - so nennen die Neufundländer ihre Insel und sich selber Newfies.
Der Insel-Boardwalk ist super gepflegt und bringt uns trockenen Fußes über die vielen sumpfartigen Abschnitte der Wanderung. Viele der Bretter tragen Inschriften der Spender, die den Erhalt dieses Weges ermöglichen.
Der Weg führt am Leuchtturm vorbei. Das Häuschen neben dem Leuchtturm ist das Lighthouse Keeper's House. Dieser Leuchtturm ist der einer wenigen rund um die Uhr besetzten Leuchttürme - weltweit. Leuchtturmwärter Jeff lädt uns auf eine Plauderei in sein "Büro" ein, erzählt vom Arbeitsplatzmangel auf Ramea und in Neufundland generell. Dass er Glück hat diesen Job zu haben und nicht mehr auf dem Festland Kanada, getrennt von seiner Familie, arbeiten muss. Über das Verschwinden des Kabeljau aus Kanadas Gewässern und welches Drama das Verbot von 1992 den Kabeljau zu befischen über viele Neufundländische Hafen- und Küstenorte brachte. Darüber werden wir in den kommenden Wochen noch viel erfahren und lernen.
Ramea war auch vom Kabeljaufang abhängig, hat es aber trotz wirtschaftlichem Niedergang bis heute geschaffft, das ganze Jahr über bewohnt zu sein. Es gibt eine kleine Fabrik zur Verarbeitung von Jakobsmuscheln und eine mehrmals tägliche Fährverbindung ans drei Seemeilen entfernte "Festland".
Der Ort arbeitet sehr daran mehr Touristen auf die Insel zu bringen. Eine kleines Hostel mit Kajakverleih gibt es bereits und die Häuser und Gärten sind herausgeputzt. Dass dies an dieser Küste eine Besonderheit darstellt, ist uns als Neuankömmlinge, erst einmal gar nicht bewusst.
Am nächsten Tag herrscht dichter Neben und es nieselt. Typisches Neufundlandwetter! Jeff hat uns erzählt, dass wenn wir auch auf dem Boardwalk verewigt sein wollen, wir CAD 20,- in der Town Hall spenden können und in ein paar Wochen erhalten wir ein Foto mit unserem "Brettl" - gespendet von der s/v Stravanza. Das wollen wir natürlich und stiefeln im Nieselregen gleich am nächsten Tag zur Town Hall. Leider ist aber die einzige Beamtin der Stadt auf Urlaub und das Amt daher geschlossen. Das erzählt uns zumindest die Dame im Postamt, das neben der Town Hall steht. Ok, schade, meinen wir. Unsere nächste Frage lautet, wo wir Hafenmeister Brian finden, denn wir wollen morgen auslaufen und müssen die Hafengebühren bezahlen. Kein Problem, meint sie, sie ruft ihn an damit er herkommt, kann ihn aber nicht erreichen. Egal, meinen wir, wir kommen später wieder, gehen erst einmal duschen ins Museum. Ja, das ist kein Schreibfehler - im Museum von Ramea gibt's neben einem Souvenirshop auch Duschen und Waschmaschinen für die Besucher!
Als wir aus der Dusche kommen, meint die Dame an der Kassa, dass Brian hier war und er jetzt im Hafen auf uns wartet. Wenn wir für ein Brettl spenden wollen, können wir das auch gleich bei ihm erledigen, fügt sie noch hinzu.
Es stimmt! In Ramea, you are a stranger only once!
Brian nimmt die Hafengebühr und die Spende entgegen und verspricht, dass wir bald ein "Beweisfoto" bekommen. Dann will er wissen, wohin wir als nächstes segeln. White Bear Bay ist unser nächstes Ziel! Wunderbar, meint Brian, da nehmt ihr die Boje vor meiner Cabin in White Bear - mit eurem 0,9 Meter Tiefgang könnt ihr da problemlos hin. Die Boje und ihre Verankerung sind ganz neu und sehr sicher. Ich rufe gleich meinen Cousin an, der gerade dort ist, damit er euch in Empfang nimmt! Widerrede ist völlig sinnlos. Wir laufen bei Windstille und wieder strahlendem Sonnenschein aus und nehmen Kurs auf die Einfahrt unseres ersten Neufundländischen Fjords - White Bear Bay.
Und wirklich, beim Einlaufen in die White Bear Bay, warten schon Collin und Pauline in ihrem Dinghie auf uns, übernehmen unsere Leine und machen uns an einer Boje fest. Wir liegen am Ende eines tiefen Fjords, in einer mit dichtem Wald bestandenen Bucht wie im Ententeich. Am Ufer stehen verstreut ein paar bunte Cabins, die nur im Sommer bewohnt sind. An den übrigen Bojen liegen kleine Boote. Damit gehen die Bewohner der Cabins den ganzen Tag fischen.
Zur Zeit darf Lachs - nur mit Lizenz, Makrele und Forelle - auch ohne Lizenz, befischt werden. Erst seit ein paar Jahren darf auch Kabeljau wieder gefangen werden, streng reguliert, nur zu bestimmten Zeiten, in streng geregelten Mengen: an Wochenenden und an Montagen, maximal drei Fische pro Person und maximal 15 Fische pro Boot. Uns dämmert immer mehr, das Fischen scheint für die Newfies eine sehr wichtige Sache zu sein und bei der Geschichte mit dem Kabeljau geht es um viel Emotion und Identifikation.
Collin schenkt uns einen geeigneten Köder fürs Makrelenfischen und zeigt uns die Stellen wo es aus dem Dinghie sicher klappen sollte. Wir fangen aber leider nichts. Dafür machen wir das erste Mal Bekanntschaft mit den Black Flies und hiesigen Moskitos - den "Noseeums". Die freuen sich über die unbedarften Neuankömmlinge und laben sich gütlich an uns Trotteln, die in kurzen Ärmeln im Dinghie sitzen. Anfängerfehler! Extrem juckende Beulen machen sich erst nach einem Tag bemerkbar. Sehr unangenehm und vor allem lehrreich!