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Grand Bruit

Dichter Nebel gehört hier zum Programm. Im CCA Crusing Guide for Newfoundland steht, dass Nebel kein Grund sein darf nicht auszulaufen, denn sonst käme man hier nur an wenigen Tagen aus dem Hafen. Wie wahr! Trotzdem, angenehm ist diese Nebelsuppe nicht. Langsam tuckern wir bei null Wind und Sicht aus dem White Bear Fjord Richtung offenes Wasser. Radar und AIS sind unsere Augen... 

Mittagszeit im Nebel
Mittagszeit im Nebel

Es beruhigt ein wenig, dass an dieser Küste wenig Schiffsverkehr herrscht. Der dichte Nebel hält sich den ganzen Tag, die Sicht ist unter einer Seemeile. Dementsprechend nervenaufreibend gestaltet sich die Ansteuerung des kleinen Ortes Grand Bruit. Sehr plötzlich tauchen fast direkt vor dem Bug die Felsen der Hafeneinfahrt auf, dann gleich der Steg des winzigen Hafens an dem wir gut festmachen können.

Ein gutes Gefühl sicher am Steg zu liegen. Als wir die letzte Spring festmachen, lichtet sich wie zum Hohn der Nebel ein wenig und gibt den Blick auf bunte Häuser rund um den Hafen und einen Wasserfall im Scheitel der Bucht frei. Ein Seehund streckt seinen Kopf aus dem Wasser und bestaunt uns neugierig. Für fünf Minuten sehen wir unsere Umgebung, dann verschluckt der Nebel wieder alles um uns herum.   

Wir hoffen morgen bessere Sicht zu haben und verziehen uns in unseren gemütlich warmen Salon.

Grand Bruit ist einer der vielen aufgegebenen Outports von Neufundland. In diesem kleinen Ort lebten zu Hochzeiten bis zu 1500 Menschen. Es gab eine kleine Klinik, eine Schule, ein Gemeindeamt, ein kleines Pub, tägliche Fährverbindungen nach Rose Blanche - dem nächsten Ort mit Straßenanbindung und viele Fischerboote im Hafen. 2010 wurde der Ort "resettled". Die letzen 44 Einwohner verließen ihre Häuser für immer, um mit staatlicher Hilfe irgendwo in Kanada ein neues Leben zu beginnen. Die Fährverbindung wurde eingestellt, der Strom abgedreht. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, dass die bunten Häuser unbewohnt sind. Erst bei unserem Spaziergang durch den Ort, wird klar, dass wir hier in einer Geisterstadt sind.

Der immer noch dichte Nebel macht die Szene noch gespenstischer als sie ohnehin schon ist. Die Fassaden und Fensterscheiben sind zum Großteil intakt, hinter manchen Fenstern hängen Vorhänge, an vielen Eingangstüren entdecken wir hübsche Schilder mit den Namen der Familien. Die Türen selber aber sind mit verrosteten Vorhängeschlössern für immer verriegelt. 

Aus der Ferne wirkt Vieles so, als wäre es erst gestern verlassen worden und nicht schon vor 15 Jahren aber nur aus der Ferne...

Über dem Ort thront die Schule und ihre Tür ist nicht verschlossen. Wir betreten zwei Klassenräume mit Schulbänken, Tafeln, im Lehrerzimmer finden sich in Regalen Unterlagen und Bücher, alte Computer, ein Mikroskop steht herum. Die Räume sind weder verdreckt noch stark verstaubt. Hier könnte jederzeit wieder Unterricht stattfinden. 

Im Hafen sind außer der Stravanza noch zwei Motorboote vertaut. Eines davon gehört Patrick. Er ist hier aufgewachsen und in die Schule gegangen, zog aber gleich nach seinem Schulabschluss aufs Festland um Arbeit zu finden. Die Einschränkung des Kabeljaufanges ab 1992 und seine komplette Einstellung in 2002, ließ Grand Bruit - wie viele andere Fischerorte Neufundlands, langsam sterben. Die Gewässer rund um Neufundland werden seit dem 17. Jahrhundert exzessiv befischt. Etliche Kriege um die Vorherrschaft in diesen Gewässern wurden geführt. Das Gerangel kam so richtig in Fahrt, als John Cabot - der wohl im Jahr 1497 als erster Europäer Neufundland und Labrador betrat, nach England zurückkehrte und von Fischgründen berichtete, "wo Fische in Körben aus dem Meer geschöpft werden können". Ab diesem Zeitpunkt wollten alle seefahrenden Mächte hier die Vorherrschaft erlangen und die reichen Fischgründe ausbeuten: Engländer, Spanier, Franzosen, Portugiesen, Basken. Das Drama der Überfischung - vor allem des Kabeljau, nahm damit bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts seinen Anfang. Bis es schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts rund um Neufundland keinen Kabeljau mehr gab. Die Bestände haben sich - trotz Fangverbots, bis heute nicht erholt. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass sie sich nie mehr wieder erholen werden. 

Patrick ist jetzt Hummerfischer und verbringt die Sommer in Grand Brut, im Haus seiner Familie. Er hat die Schule oben auf dem Hügel besucht und sagt, er hatte eine schöne Kindheit, es war ein gutes Leben hier. Jeder aber wusste, was kommen wird, jedoch niemand wollte es wahrhaben. Bis die Regierung verkündete, dass der Ort - wie so viele andere, aufgegeben wird, Fährverbindung und Stromversorgung abgedreht werden. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt mussten alle Bewohner Grand Bruit verlassen haben, um die staatliche Unterstützung von rund EUR 80.000 zu erhalten. Grand Bruit ist ein Beispiel der tragischen Geschichte der aufgegebenen Outports Neufundlands.  

Wie Patrick, nutzen einige Familien ihre alten Häuser als Sommerhaus, verbringen ihre Ferien hier und betreiben den Hummerfang mit Körben. Die meisten Häuser aber sind für immer verlassen. Die Natur holt sich langsam ihr Terrain zurück. Wie als Beweis dafür, steht am Dorfrand ein großes Karibu und beäugt uns neugierig.

In vielen unserer Begegnungen mit den Menschen in den Häfen, kommt das Gespräch immer auf die Tragödie das Kabeljaufangverbots in  Neufundland und Labrador zurück. Viele Songs der Newfie- Folkbands erzählen diese Geschichte, es gibt etliche (sehr lesenswerte!) Romane zu diesem Thema, in den Häfen stehen die Ruinen der aufgelassenen Fischfabriken und es gibt nur mehr wenige Fischerboote. Uns wird klar, dass dieses ganze Thema hoch emotional besetzt ist. In manchen Gesprächen beschleicht uns jedoch mitunter das Gefühl, dass die Einsicht, warum es so gekommen ist, fehlt. Das Verbot wird oft "als von Ottawa" verhängt und ungerecht" bezeichnet. Jedenfalls spuken der Kabeljau und das ganze Thema Überfischung der Meere, jetzt auch uns gehörig im Kopf herum.    

 

stimmungsvolles Grand Bruit mit tragischer Geschichte
stimmungsvolles Grand Bruit mit tragischer Geschichte