Mit dem ersten Tageslicht und bei Niedrigwasser, verlassen wir den ziemlich flachen Hafen von Tilting und laufen prompt in der betonnten Hafenausfahrt auf.
Für solche Hoppalas ist unsere Stravanza gerüstet. Über ein Sicherheitsventil schwingen Schwert und Ruder bei Grundberührung nach oben. Alle Ovnis können das. Manchmal frage ich mich aber schon, ob wir durch dieses Feature unseres braven Schiffes, nicht auch hin und wieder zu wagemutig sind... Nach dem ersten Schreck, wechseln wir das durchgeschlagene Sicherheitsplättchen und pumpen das Ruder wieder nach unten. Alles gut gegangen.
Es wird ein langer Tag auf See. Unser Ziel ist Bonavista und leider liegt es genau dort, woher der Wind heute sehr kräftig bläst. Weder Windrichtung noch Stäke waren so angesagt. Was soll's - auf See muss die Crew nehmen, was kommt. Hoch am Wind kämpfen wir uns wacker Meile um Meile vorwärts. An Bord herrscht dennoch beste Laune.
Erst gegen Abend können wir abfallen und haben den Wind die letzten Meilen raumschots. Nachtansteuerungen eines uns unbekannten Hafens, versuchen wir möglichst zu vermeiden. Heute geht es sich aber nicht aus bei Tageslicht einzulaufen. Erst kurz vor Mitternacht bläst es uns in den Hafen von Bonavista - direkt an den Schwimmsteg. Wenigstens für dieses Manöver stimmt die Windrichtung! Müde fallen wir in die Kojen.
Wie jetzt schon einige Male in dieser Gegend erlebt, präsentiert sich der Atlantik am nächsten Morgen unschuldig in herrlichstem Dunkelblau und macht auf Ententeich. Es bestätigt sich immer mehr, hier gibt es nur zwei Windkategorien: "Null Wind" oder "20 Knoten-Plus".
Wie es sich gehört, checken wir beim Hafenkapitän ein. Stolz zeigt er uns sein Gästebuch in das sich alle besuchenden Yachten eintragen müssen. Sowas machen wir sehr gerne! An der Wand hängt eine Weltkarte und hier darf jede besuchende Yacht mit einem Pin ihren Heimathafen markieren. In Europa stecken schon einige Nadeln aber in Österreich noch gar keine!
Bisserl stolz bringen wir unseren Pin gleich neben Wien an. Erste österreichische Yacht in Bonavista!
An dieser Stelle muss einmal erwähnt werden, dass die nettesten Hafenkapitäne dieser Welt in Neufundland zu finden sind! Ausnahmslos.
In Bonavista wartet wieder einmal viel Geschichte auf uns. Nur 5 Jahre nach Kolumbus, 1497 segelte John Cabot auf seiner Matthew über den Atlantik und "entdeckte" Neufundland für das Britische Empire.
John war Italiener und sein richtiger Name lautete Giovanni Caboto. Auch sein Schiff hieß nicht Matthew, sondern Mattea, benannt nach seiner Ehefrau. Mit ziemlicher Sicherheit war Giovanni mit Kolumbus in Kontakt - stammten sie doch beide aus Genua. Quellen besagen, dass er neidisch auf Kolumbus' Triumph war und davon angestachelt, sich selbst Richtung Westen aufmachte, um zu finden, was Kolumbus nicht gelungen war - den Weg nach Indien über die Westroute. König Heinrich VII und reiche englische Kaufleute finanzierten diese Fahrt. Jedoch, auch Giovanni lag der Nordamerikanische Kontinent im Weg. In seinem Fall keine tropische Insel, sondern das kalte Neufundland. Statt mit exotischen Gewürzen beladen, kehrte er mit der nicht minder wertvollen Nachricht zurück, dass die Gewässer rund um "the newe fownde lawnde" so fischreich sind, dass diese mit Körben aus dem Meer geschöpft werden können. Daher auch der Name Newfoundland.
John Cabot glaubte, dass er in Cathay (China) gelandet war! Und noch bemerkenswerter ist, dass unbekannt ist, wo er abgeblieben ist. Nach seiner dritten Reise ist er einfach verschwunden.
Nach seiner Entdeckung gab es kein jedenfalls kein Halten mehr. Briten und Franzosen machten sich auf den Weg zu den verheißungsvollen Fischgründen und führten zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen um Fischerei- und Siedlungsansprüche. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand durch diesen Run an der Ostküste Neufundlands, eine richtige Industrie rund um den Kabeljau. Sowohl Briten als auch Franzosen, befestigten Häfen, es entstanden Siedlungen und Städte. Die ansässige indigene Bevölkerung zahlte den höchsten Preis für ihre "Entdeckung" durch die Europäer und wurde wie schon auf den Karibischen Inseln, vertrieben, ermordet oder erlag den eingeschleppten Krankheiten. Schnell breitete sich von hier aus der äußerst einträchtige Kabeljaufang über die gesamte Ostküste des heutigen Kanada und der USA aus.
Klar, dass wir ins hiesge Museum schauen!
Tausende Schiffsladungen getrockneten Stockfisches - "cured cod" oder "salt cod" - wurden nach Europa und in die Kolonien der Karibik geschippert. Die gute Qualität ging nach Europa, die minderwertige, schlecht getrocknete, halb verdorbene und eigentlich ungenießbare Ware, in die Karibik. Damit wurden die vielen Sklaven in den Plantagen billig ernährt - um nicht zu sagen, am Leben erhalten. Womit wir wieder einmal beim Sklavenhandel sind - dem grauslichsten aber so bestimmenden Kapitel in der Geschichte des Nordatlantik. Es entwickelte sich ein profitabler Kreislauf: Die Stockfischlieferungen in die Karibik wurden unter anderem mit aus Zuckerrohr gewonnener Molasse bezahlt. Mit dem Import von Molasse, entwickelten sich die vielen Destillerien an der Küste Neu Englands, deren Produkte in Europa Absatz fanden. Die Neufundländer machten es sich einfacher und importierten gleich fertigen Rum aus Jamaika. Auch heute gibt es in jedem Liquorshop "Newfoundland Jaimaican Rum" zu kaufen und richtige Newfies sprechen ihm gerne zu. Aber davon später.
Uns präsentiert sich Bonavista als verschlafenes kleines Städtchen mit bunten Häusern. Im Museum, ist eine Replica der Matthew zu bewundern. Das Schiff ist sogar seetüchtig und hat einige Fahrten in den Gewässern rund um um Bonavista absolviert, steht aber seit Jahren nur mehr im Museum. Das Boat House wurde um die Matthew-Replica herum gebaut. Was man dem Gebäude deutlich ansieht!
Eine dritte identische Replica der Matthew segelte 1995, zum 500-Jahresjubiläum der Entdeckung Neufundlands, von England aus über den Atlantik. Queen Elizabeth persönlich empfing das Schiff im Hafen von Bonavista. Im Museum läuft ein Video über den Empfang und die Rede der Queen in Endlosschleife. Mit uns gemeinsam schaut ein Ehepaar in meinem Alter das Video. Die beiden erzählen, dass sie damals dabei waren. Es war ein unglaublich kalter, nebliger Sommertag. Dennoch war gefühlt ganz Neufundland in Bonavista. Strahlend meinen beide, um nichts in der Welt hätten sie das versäumen wollen.
Wir erleben das absolute Gegenteil: Die Hitzewelle dauert an und wir haben hochsommerliche Temperaturen. Das Städtchen wirkt ausgestorben. So gut wie niemand ist auf den Straßen unterwegs.
Aus Wien schickt Freund Manfred eine Lokalempfehlung. Das "Boreal Diner" wird hoch gelobt und wir beschließen, uns einmal was richtig Gutes zu gönnen. Zu unserer Enttäuschung ist das Lokal aber wegen der Hitzewelle (28°C!) geschlossen. Auf dem Rückweg zur Stravanza, finden wir zu unserer großen Freude eine gemütliche Brauerei, die der Hitzewelle "trotzt". Zur Abwechslung bestellen wir uns statt Fish&Chips, "Cod Tacos" - hier muss man einfach dem Kabeljau treu bleiben, und genießen das Abendlicht auf der Terrasse.